Janny Flaccus in Werder

JOB Storys #3: 20 Jahre ambulante Erziehungshilfen mit Janny Flaccus

In unserer Reihe „Job Storys“ dreht sich alles um die Mitarbeiter:innen der Stiftung JOB. Denn sie sind es, die die Stiftung einzigartig und empfehlenswert machen. Weiter geht’s mit Janny Flaccus (im Bild links), die den Fachbereich „Ambulante Hilfen zur Erziehung“ leitet und mit aufgebaut hat.

Frau Flaccus, Sie sind seit mehr als 20 Jahren bei der Stiftung JOB, früher JOB e. V. Heute leiten Sie den Fachbereich für ambulante Erziehungshilfen. Hatten Sie sich das alles so vorgestellt?

Ursprünglich sahen meine Pläne anders aus. Als ich mit dem Sozialpädagogikstudium an der Fachhochschule Potsdam begann, war ich fest davon überzeugt, später mit Häftlingen zu arbeiten. Nachdem ich dann ein Semester in einem israelischen Kinder- und Jugenddorf gearbeitet hatte, wollte ich in den Bereich der stationären Hilfen gehen. Zurück in Deutschland bin ich auf JOB e. V. gestoßen und habe als studentische Honorarkraft angefangen, in den flexiblen Hilfen zu arbeiten, also direkt mit Familien und Kindern in ihrem Zuhause. Da wusste ich: Das ist genau das, was ich will. Ich will aufsuchend arbeiten, also auch den Lebensraum der Menschen und ihre Beziehungen kennenlernen, um dann unterstützen zu können. Nach dem Studium habe ich mich bei JOB beworben und wurde 2001 fest angestellt.

Sie sind also einfach da geblieben?

Ja. 2001 war genau das Jahr, in dem JOB den Fachbereich „Ambulante Hilfen zur Erziehung“ neu aufgebaut hat. Anfangs waren wir ein 3- oder 4-köpfiges Team, also ganz klein und familiär. Ich durfte die ersten Babyschritte miterleben und in den kommenden Jahren viel mitgestalten. Der Fachbereich ist bis heute immens gewachsen, mittlerweile sind wir 28 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und es kommen immer neue Angebote und Wirkungsfelder dazu.

Welche Angebote macht Ihr Fachbereich?

Wir suchen Familien zu Hause auf und unterstützen sie bei erzieherischen oder sozialen Herausforderungen. Im Fokus steht das Wohl der Kinder und Jugendlichen. Bei Bedarf begleiten wir z. B. die Heranwachsenden auch einzeln. Außerdem bieten wir Beratung rund um alle Fragen zu Erziehung und Familienleben an. Wir beraten andere Einrichtungen, z. B. Schulen und Kitas, bei der Einschätzung, ob das Wohl eines Kindes zu Hause oder in seinem Umfeld gewährleistet oder gefährdet ist. Mittlerweile betreiben wir mit viel Engagement 4 Familienzentren im Landkreis Potsdam-Mittelmark, 2 intensivpädagogische Nestgruppen und eine verlässliche Eltern-Kind-Gruppe in der Gemeinschaftsunterkunft Werder. Eine Integrationsfachkraft begleitet seit 2020 Familien mit Migrationshintergrund im Raum Werder.

Gibt es aktuell neue Projekte?

Seit Oktober 2022 haben wir die Möglichkeit Fachkräfte für Migrationssozialarbeit zu beschäftigen. Sie unterstützen Menschen mit Fluchterfahrungen aus der Ukraine beim Bewältigen ihres Alltags in Deutschland, beim Zugang zu Bildungseinrichtungen oder bei Behördenfragen. Das Angebot ist zunächst für ein Jahr befristet.

Heißt das, die meisten Angebote des Fachbereichs richten sich hauptsächlich an die Erwachsenen?

Vor allem geht es uns um die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, aber wir schrauben deshalb nicht an den Kindern rum. Wenn ein Kind auffällig in der Schule ist, sehen wir es als Symptomträger. Kinder werden unschuldig geboren und sind mit allem Guten ausgestattet. Erst durch bestimmte Bedingungen verhalten sich Kinder auffällig. Das heißt, wir müssen an die Bedingungen ran und dazu gehören auch die Erwachsenen im Umfeld der Kinder. Deshalb arbeiten wir z. B. bei den aufsuchenden Hilfen und Beratungen hauptsächlich mit den Erwachsenen, und das sind nicht immer nur die Eltern.

Wie haben Sie Ihr Interesse an Führung entdeckt?

Die Leitung des Fachbereichs habe ich 2008 übernommen. Diese Entscheidung hatte viel mit den starken Frauen zu tun, die mich aufgezogen haben und denen ich begegnet bin. In meinem ersten Praktikum in einer Einrichtung für Suchttherapie hat mich damals die leitende Therapeutin mit ihrer positiven Ausstrahlung beeindruckt. Ich hatte zudem tolle Supervisorinnen, die mich auf meinem beruflichen Weg begleitet haben. Auch Kerstin Schneider, die bei JOB den Fachbereich Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit leitet, hat mich als gestandene Frau immer beeindruckt. Für mich sind diese Frauen Vorbilder und Orientierung. Wenn ich sie nicht kennengelernt hätte, wäre ich vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, mir das selbst zuzutrauen.

Als Führungskraft müssen Sie sicherstellen, dass Ihr Team gut arbeiten kann. Wie machen Sie das?

Ich finde Mitarbeiterfürsorge ist ein wichtiges Thema, für das man sich als Führungskraft Zeit nehmen sollte. Bei JOB sind wir mittlerweile mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das hat das Arbeiten miteinander schon verändert. Bei so vielen Menschen geht wenig zwischen Tür und Angel, das müssen oft ganz klare Abläufe sein. Trotz der Größe ist es mir aber wichtig, jederzeit ansprechbar zu sein. Ich arbeite mit viel Leidenschaft und Engagement und erwarte den hohen Einsatz auch von meinem Team. Wer viel gibt, braucht mal jemanden zum Reden, das kennen wir alle. Wenn ich den Eindruck habe, dass es jemandem gerade nicht gut geht, suche ich das Gespräch. Und ich versuche generell eine Atmosphäre zu schaffen, bei der man Probleme offen ansprechen kann, denn nur dann kann ich behilflich sein. Ich denke, es braucht diesen Austausch, um mit der Schwere der Themen in den Familien dauerhaft gut arbeiten zu können.

Wo holen Sie sich Unterstützung und Fürsorge?

Ich kann meine Arbeit nur so gut machen, weil ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe, die einfach toll sind. Wir sind im Team eine gute Mischung aus sehr erfahrenen Fachkräften und Berufseinsteigern. Jeder bringt sowohl seine Persönlichkeit ein als auch ganz unterschiedliche Professionen und Weiterbildungen. Jeder kann von jedem profitieren und etwas lernen. Und ich würde den meisten unterstellen, dass soziale Arbeit für sie weniger ein Beruf und mehr eine Berufung ist. Viele arbeiten mit einem unheimlich hohen Engagement. Mein Team macht mir die Leitungsarbeit leicht, weil alle sind, wie sie sind. Und ich habe eine Familie und viele Freunde, die mir Halt und Stabilität geben. Nicht zuletzt reise und tanze ich unheimlich gern, z. B. Bachata und Salsa, daraus ziehe ich viel Energie.

Welche Herausforderungen stellt Ihre Arbeit an Sie persönlich?

Zu akzeptieren, dass Veränderungen Zeit brauchen. Das ist in meinem Beruf und bei der Arbeit mit Familien sehr wichtig. Auch zu akzeptieren, dass nicht jeder Familie immer geholfen werden kann. Es gibt Menschen, für die ist es gerade nicht der richtige Zeitpunkt oder man ist gerade nicht die richtige Person, weil eine andere Profession als die Sozialarbeit benötigt wird. Und dass Erfolge oft erst auf den zweiten Blick sichtbar sind. Wenn man in der Fabrik arbeitet, dann stellt man ein Produkt her und am Ende vom Fließband kommt etwas Fertiges raus. In der Sozialarbeit sind gute Erfolge oft nicht sofort sichtbar, langfristig aber definitiv. Ich treffe manchmal Klienten, die ich selbst mal betreut habe und die mittlerweile Mamas und Papas oder sogar schon Großeltern sind. Wenn ich mich dann erinnere, wie schwierig sie’s mal hatten und jetzt sehe, welche Entwicklung sie gemacht haben, ist das für mich ein wunderschönes Erlebnis.

Wünschen Sie sich mehr soziales Engagement in der Gesellschaft?

Was mir aktuell auf der Seele brennt, ist die Entwicklung im Iran oder im Mittelmeer, wo Menschen auf ihrer Flucht Folter, Hunger und Todesangst ausgesetzt sind. Um uns herum spielen sich Dramen ab, und ich finde es wichtig, sich für Menschen außerhalb Deutschlands zu engagieren. In unserer Arbeit kümmern wir uns um Menschen, die es natürlich genauso verdient haben, betreut und beraten zu werden. Mein Appell wäre aber, nicht zu vergessen, dass wir hier in einer vergleichsweise sehr privilegierten Lage sind und dass man seinen Blick immer wieder neu ausrichten muss und sich für Menschen einsetzen sollte, die keine Stimme haben. So wie die iranischen Frauen oder die Flüchtlinge, die im Mittelmeer täglich sterben. Menschen die sich in der zivilen Seenotrettung engagieren, dürfen nicht kriminalisiert werden. Wir brauchen sichere Fluchtkorridore und mehr organisierte Wut gegen unmenschliche und faschistische (Grenz-)Regime.

Nochmal zurück zu JOB und Ihrem 20-jährigen Jubiläum im vergangenen Jahr. Was macht JOB so besonders für Sie?

Die Möglichkeiten mitzugestalten und einen Vertrauensvorschuss zu bekommen, wenn man mal eine verrückte Idee hat und diese auch ausprobieren zu dürfen. Also wirklich innovativ sein zu können, in einem gewissen Rahmen natürlich. Als Berufseinsteiger oder im Praktikum bekommt man eine gute Chance, verschiedene Bereiche kennenzulernen, weil wir so vielseitig aufgestellt sind. Man trifft immer auf Menschen mit offenen Ohren, sowohl bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch bei der Leitung oder Geschäftsführung. Wichtig am Ende des Tages ist, dass man sich gesehen fühlt. Das kann ich für mich sagen und ich denke, genau das macht JOB aus.