In unserer Reihe „Job Storys“ dreht sich alles um die Mitarbeiter:innen der Organisation. Denn sie sind es, die die Stiftung einzigartig und empfehlenswert machen. Weiter geht’s mit Nicole Weber, die seit 2 Jahren den Fachbereich „Stationäre Hilfen zur Erziehung“ leitet.
Frau Weber, können Sie uns kurz erklären, worum es in Ihrem Fachbereich geht?
Wir helfen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die vorübergehend oder dauerhaft nicht bei ihren Eltern leben können. Sie kommen in Wohngruppen, wo sie Betreuung, Erziehung und Unterstützung erhalten. Es geht darum, ihnen ein sicheres Umfeld zu bieten, aber auch, die Familien als Ganzes zu unterstützen.
Was motiviert Sie, sich für die Bedürfnisse von jungen Menschen und ihren Familien einzusetzen?
Das fing schon sehr früh an. Nach dem Tod meiner Mutter, als ich gerade 18 Jahre alt war, habe ich das Sorgerecht für meinen 13-jährigen Bruder übernommen. Ich brach meine Ausbildung zur Erzieherin ab, spielte Mutter und Hausfrau, bis das Jugendamt 2 Jahre später entschied, dass mein Bruder in ein Heim sollte. Auf diese Entscheidung habe ich damals sehr emotional reagiert. Ich wollte die Probleme nicht sehen. Diese Erfahrung hat mich tief geprägt und mich in die Jugendhilfe geführt, um Familien zu begleiten und zu unterstützen.
Gibt es eine Geschichte oder Begegnung, die Sie besonders berührt hat?
Es gibt viele Geschichten, die mich berührt haben. Besonders interessant ist, dass die Jugendhilfe Menschen aus allen sozialen Schichten betrifft. Es ist nicht nur ein Thema für Familien, die in Armut leben oder mit Suchtproblemen zu kämpfen haben, sondern auch für wohlhabende Familien.
Verraten Sie uns etwas über Ihre persönlichen Überzeugungen in Bezug auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen?
Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung. Oft halten wir unsere eigene Haltung für die einzig richtige und versuchen, sie anderen zu vermitteln. Besonders deutlich wird mir das, wenn ich mit 18- bis 21-Jährigen spreche, die schon wählen dürfen und deren Entscheidung mich manchmal erschreckt. Aber dann atme ich erst einmal durch und frage sie nach ihren Beweggründen. Ich will sie nicht belehren, sondern ihnen Alternativen aufzeigen. Ich schreibe ihnen nicht vor, wie sie sein oder welche Meinung sie haben sollen. Das halte ich für sehr wichtig.
Wie reagieren die Jugendlichen darauf?
Die Reaktionen sind unterschiedlich. Einige überlegen nochmal, andere bleiben bei ihrer Meinung. Meine Aufgabe ist es, sie zu ermutigen, über ihre Entscheidungen nachzudenken und neue Perspektiven zu betrachten. Als ich noch jünger war, habe ich gedacht, wenn ich erwachsen bin, wird Rassismus Geschichte sein. Bis heute ist er das nicht. Das ist ein Thema, das regt mich immer wieder auf. In unseren Wohngruppen gibt es Mädchen und Jungen, die aus anderen Kulturen kommen. Mir ist wichtig, dass wir wirklich offen sind. Wir laden zum Beispiel Eltern dazu ein, mit uns oder für uns ihre heimischen Gerichte zu kochen.
Ist es überhaupt möglich, allen Bedürfnissen gerecht zu werden?
Bisher hatte ich noch keinen Jugendlichen, der vehement gegen alles rebelliert hat. Jeder Mensch benötigt einen individuellen Ansatz. Es braucht Zeit, um den passenden Schlüssel zu finden, ihn anzupassen oder zu verfeinern. Anfangs dachte ich immer, dass ich mit meinem umfangreichen Methodenkoffer für alles gewappnet bin. Doch die Jugendlichen verändern sich. Manchmal muss ich bewährte Methoden beiseite legen, weil sie nicht mehr funktionieren. Dann brauche ich etwas Neues. Irgendetwas klappt immer.
Können Sie ein Beispiel für diesen Wandel bei Jugendlichen nennen?
Medienkonsum und Spielsucht sind bei deutschen Jugendlichen häufiger anzutreffen als bei geflüchteten Jugendlichen. Auch die Erwartungen der Eltern an ihre Kinder haben sich verändert. Vor 20 Jahren ging es den Eltern vor allem darum, dass der Alltag funktioniert und die Kinder gehorchen. Dies ist jedoch je nach Nationalität unterschiedlich. Manchen Eltern muss erklärt werden, dass ihre Erziehungsmethoden in unserem Land gesetzlich verboten sind. Die ersten Gespräche gestalten sich oft schwierig, da sie nicht verstehen, warum sie ihr Verhalten, das in ihrem Heimatland akzeptiert war, ändern sollen. In Deutschland haben Kinder ein Recht auf Schutz. Gewalt ist absolut inakzeptabel.
Sie führen sicher viele schwierige Gespräche, was hilft Ihnen dabei?
Nicht alle Eltern sind offen für Gespräche. In solchen Fällen gibt es oft eine entscheidende Frage. Empathie ist dabei sehr wichtig, man darf die Eltern nicht verurteilen. Es geht nicht darum, ob ihre Vergangenheit richtig oder falsch war. Wir befinden uns in einem anderen Land und brauchen einen anderen Ansatz. Natürlich gibt es auch Eltern, die ausrasten, genauso wie Kinder oder Jugendliche. In solchen Momenten ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und die Situation auszuhalten. Das schafft eine Beziehung. Mein Gegenüber merkt: Die geht jetzt nicht weg, die ist noch da. Das funktioniert eigentlich immer.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?
So ein Tag beinhaltet viele Telefonate, E-Mails, Gespräche mit Kolleg:innen und Fallanfragen sowie Gremien- und Öffentlichkeitsarbeit. Ansonsten bin ich viel unterwegs. Jede Woche besuche ich die verschiedenen Gruppen und nehme an den Teambesprechungen teil. Mir ist wichtig, dass sich jeder im Team zeigen kann, ohne Angst haben zu müssen, dafür kritisiert zu werden. Also wirklich zu sagen: Da komme ich an meine Grenzen, da habe ich eine Frage, wie macht ihr das? Das heißt, in den Austausch zu gehen, ohne vorwurfsvoll zu sein. Ein Team sollte sich gegenseitig ergänzen und auch in schwierigen Situationen sagen können: Ich bin wirklich überlastet, können wir tauschen? Dieses Vertrauen aufzubauen, braucht viel Zeit.
Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Arbeit?
Ich bin für 6 Teams verantwortlich, die verschiedene Altersgruppen betreuen und die unterschiedliche Anliegen haben. Im Grunde geht es immer darum, den Schutz der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten und ihnen zu ermöglichen, ein eigenständiges Leben in der Gesellschaft zu führen. Mir gefällt, dass ich überall mitwirken kann und alle Bereiche abdecke: Klienten, Kolleg:innen, Eltern, Jugendamt, Vormund.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Was mich auszeichnet, ist meine gute Laune. Schon als ich noch Bezugserzieherin tätig war, habe ich morgens um 6 Uhr die Kinder geweckt habe und dabei gesungen. Und wenn sie nicht aufstehen wollten, sprang ich fröhlich im Bett herum. Manche waren genervt von meiner Fröhlichkeit. Das geht einigen meiner heutigen Kolleg:innen heute auch so, während andere sich davon anstecken lassen. Manchmal weiß ich, dass es ein anstrengender Tag wird, aber mit einem Lächeln geht alles leichter.
Was schätzen Sie besonders an Ihrer Arbeit bei der Stiftung JOB?
Die enge Vernetzung. Die Fachbereichsleiterinnen, die übrigens alle Frauen sind, treffen sich regelmäßig zum Austausch. Wir sitzen auch regelmäßig mit der Geschäftsführung zusammen. Das finde ich gut, denn da werden noch mal übergreifende Themen besprochen. Mir gefällt die familiäre Atmosphäre. Da ich erst seit 2 Jahren dabei bin, kenne ich noch nicht alle über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber das wird sich noch ändern.